Die neue EU-Verordnung über Medizinprodukte – MDR
Mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu verbessern, hat die Europäische Kommission die bestehenden Medizinprodukterichtlinien überarbeitet. Die neue Verordnung über Medizinprodukte (EU) 2017/745 (Medical Device Regulation, MDR) ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Nach Verschiebung des Geltungsbeginns im April 2020 endete die Übergangsfrist nun am 26. Mai 2021. Die MDR ersetzt die bisherigen EU-Richtlinien 93/42/EWG und 90/385/EWG und muss nicht in nationales Recht umgesetzt werden, sondern ist unmittelbar in den Mitgliedstaaten gültig. Dies führt innerhalb der Europäischen Union zu einer Vereinheitlichung der Standards für Medizinprodukte.
Neben neuen Produkten müssen auch alle bereits auf dem Markt befindlichen zugelassenen Produkte einer neuen Zertifizierung entsprechend der MDR unterzogen werden. Auch die Benannten Stellen müssen ein Neubenennungsverfahren durchlaufen, das derzeit noch nicht abgeschlossen ist (Stand Dezember 2021).
Als Medizintechnik-Standort Nummer eins in Deutschland ist Baden-Württemberg mit seinen 842 Unternehmen stark von der MDR betroffen. Im Sommer 2019 hat Baden-Württemberg als erstes Land durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg Mittel für ein Soforthilfeprogramm bereitgestellt. Die MDR Soforthilfe BW, koordiniert von der BIOPRO Baden-Württemberg, bietet mit fünf nicht-einzelbetrieblichen Maßnahmen pragmatische und anwendernahe Unterstützungsleistungen. Diese helfen den Medizintechnikunternehmen, die neuen Vorgaben zeit- und ressourcensparend umzusetzen. Das Soforthilfeprogramm, das den Fokus bisher auf die MDR legte, wurde auf Unterstützungsleistungen für Hersteller von In-vitro Diagnostika ausgeweitet und ist in einem angepassten Format seit Januar 2021 als MDR & IVDR Soforthilfe BW verfügbar.
Die wichtigsten Änderungen auf einen Blick
Die MDR bringt neue und in vielen Bereichen höhere Anforderungen für die Unternehmen und Überwachungseinrichtungen. Wichtige Änderungen sind:
- Die Klassifizierung ändert sich für viele Produkte, beispielsweise durch die Höherklassifizierung von Software, stofflichen Medizinprodukten, wiederverwendbaren chirurgisch-invasiven Instrumenten sowie Produkten, die Nanomaterialien beinhalten1.
- In der Risikoklasse I wurde die Untergruppe Ir („r“ für „reusable“) für wiederverwendbare chirurgische Instrumente eingeführt.
- Für aktive Produkte der Klasse IIb, die dem Körper Arzneimittel ab- oder zuführen, und Implantate der Klasse III ist ein Konsultationsverfahren im Zusammenhang mit der klinischen Bewertung vorgesehen, bei dem Expertinnen und Experten in die Konformitätsbewertung einbezogen werden (Scrutiny-Verfahren)1.
- Die Anforderungen an die klinische Bewertung sind gestiegen. Gleichzeitig wird der Verweis auf die klinischen Daten eines ähnlichen Produktes (Äquivalenzbetrachtung) stark erschwert und nach Meinung von Expertinnen und Experten schwierig umsetzbar. Dadurch kommt es zu einem steigenden Bedarf an der Durchführung klinischer Prüfungen – auch hier erhöht die MDR die Anforderungen.
- Die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem und die technische Dokumentation sowie für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance) sind gestiegen1.
- Mit der Einführung einer neuen Produktidentifizierungsnummer (Unique Device Identification, UDI) ergeben sich darüber hinaus neue Kennzeichnungspflichten. Die Einführung der UDI-Kennzeichnung wird mit dem Ziel einer besseren Nachverfolgbarkeit der Produkte zeitlich gestaffelt nach Klassen eingeführt.
- Die Anforderungen an die Marktüberwachung sind gestiegen. Hersteller sind künftig verpflichtet, Daten über ihr Unternehmen, ihre Produkte sowie Informationen zu den UDIs in der Eudamed-Datenbank als elektronischem Vigilanz- und Marktüberwachungssystem zu hinterlegen. Diese befindet sich weiterhin in der Umsetzungsphase, alle Module sollen ab Mai 2022 zur Verfügung stehen (Stand Dezember 2021)1,2.
- Jeder Hersteller muss intern mindestens eine für die Einhaltung der regulatorischen Vorschriften „Verantwortliche Person“ benennen. Ihre Aufgaben gehen über die des Sicherheitsbeauftragten hinaus. Ebenso steigen die Anforderungen bezüglich der Qualifikation und Erfahrung der „Verantwortlichen Person“. Bei Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten gibt es unter bestimmten Voraussetzungen die Ausnahme, dass diese Funktion auch extern benannt werden kann3.
- Große Veränderungen ergeben sich auch für die Zusammenarbeit zwischen Original Equipment Manufacturer (OEM) und Private Label Manufacturer (PLM).
Um Probleme und Fragen bei der Implementierung der MDR sowie der neuen Verordnung über In-vitro-Diagnostika (EU) 2017/746 (In-vitro Diagnostics Regulation, IVDR) zu identifizieren, wurde der Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (NAKI) vom Bundesgesundheitsministerium gegründet. Die Ergebnisse werden auf der Website veröffentlicht.
Fristen
Verlängerung der Übergangsfrist:
Die Europäische Kommission hat am 3. April 2020 ein Proposal für die Verschiebung des MDR-Geltungsbeginns veröffentlicht. Nach Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat im April 2020 wurde die Anpassungsverordnung (EU) 2020/561 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte am 24. April 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. 4, 5, 6
Der Geltungsbeginn der Verordnung über Medizinprodukte EU 2017/745 wurde um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 verschoben.
Dadurch haben sich alle folgenden genannten Fristen, die sich zuvor auf den 26. Mai 2020 bezogen haben, nun auf den 26. Mai 2021 verschoben.
Fristen der am 26. Mai 2017 in Kraft getretenen MDR:
- „Bescheinigungen, die von Benannten Stellen vor dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt wurden, bleiben bis zu dem in der Bescheinigung angegebenen Zeitpunkt gültig, außer im Fall von Bescheinigungen gemäß Anhang 4 der Richtlinie 90/385/EWG bzw. gemäß Anhang IV der Richtlinie 93/42/EWG, die spätestens am 27. Mai 2022 ihre Gültigkeit verlieren.“ 7
- „Bescheinigungen, die von Benannten Stellen nach dem 25. Mai 2017 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgestellt werden, behalten ihre Gültigkeit bis zum Ende des darin angegebenen Zeitraums, der fünf Jahre ab der Ausstellung nicht überschreiten darf. Sie verlieren jedoch spätestens am 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit.“ 7
- Artikel 120, Absatz 4: „Produkte, die vor dem 26. Mai 2020 gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, und Produkte, die ab dem 26. Mai 2020 aufgrund einer Bescheinigung gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels in Verkehr gebracht wurden, können bis zum 27. Mai 2025 weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden“. 7 Hier ist zu beachten, dass Artikel 120, Absatz 4 durch nachfolgende Korrigenda angepasst wurde.
Die detaillierten Bestimmungen finden Sie in den Verordnungstexten und in den Ergebnissen der NAKI-Arbeitsgruppe „Übergangsbestimmungen“.
Fristveränderungen nach den Korrigenda vom 25.11.2019 und vom 23.04.2020 – Wichtige Änderungen:
Für einige der Produkte, die nach den alten Richtlinien zur Klasse I gehörten, haben sich durch die Korrigenda vom 25.11.2019 und vom 23.04.2020 Änderungen ergeben. Dies betrifft Produkte, die höher klassifiziert werden, und für die nach neuer Verordnung nun mit einer Benannten Stelle zusammengearbeitet werden muss. Insbesondere wiederverwendbare chirurgische Instrumente (Klasse Ir), Software, Produkte mit Nanomaterial und stoffliche Produkte sind davon betroffen. Durch das Korrigendum dürfen diese Produkte nun auch bis spätestens Mai 2024 in Verkehr gebracht werden, sofern sie vor dem 26. Mai 2021 über eine gültige Konformitätserklärung nach den alten Richtlinien verfügen. Dies gilt bis zum Ablauf der Bescheinigung, was gegebenenfalls auch vor Mai 2024 der Fall sein kann. Diese Fristen gelten nur, sofern das Produkt nicht wesentlich verändert wird. Zusätzlich müssen alle weiteren Vorgaben der MDR bereits erfüllt werden, wie zum Beispiel die Überwachung nach dem Inverkehrbringen 6, 8.
Artikel 120 Absatz 3 wurde wie folgt geändert:
„Abweichend von Artikel 5 der vorliegenden Verordnung darf ein Produkt, das ein Produkt der Klasse I gemäß der Richtlinie 93/42/EWG ist, für das vor dem 26. Mai 2020 [neu: 26. Mai 2021] eine EU-Konformitätserklärung erstellt wurde, und für das das Konformitätsbewertungsverfahren gemäß der vorliegenden Verordnung die Mitwirkung einer Benannten Stelle erfordert, oder für das eine Bescheinigung gemäß der Richtlinie 90/365/EWG oder der Richtlinie 93/42/EWG besteht, die gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels gültig ist, bis zum 26. Mai 2024 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, sofern es ab dem 26. Mai 2020 [neu: 26. Mai 2021] weiterhin einer dieser Richtlinien entspricht und sofern keine wesentlichen Änderungen der Auslegung und der Zweckbestimmung vorliegen.“ 6, 9
Artikel 120 Absatz 4 wurde wie folgt geändert:
„Produkte, die vor dem 26. Mai 2020 [neu: 26. Mai 2021] gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, und Produkte, die ab dem 26. Mai 2020 gemäß Absatz 3 des vorliegenden Artikels in Verkehr gebracht wurden, können bis zum 26. Mai 2025 weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden.“ 6, 9
Nadelöhr Benannte Stelle
Nicht nur die Produkte selbst, auch die Zertifizierungsstellen, welche die Produkte nach der neuen Verordnung zertifizieren, müssen sich erneut als Benannte Stelle bewerben und nach Prüfung neu benannt werden. Insgesamt gab es in der EU 49 Benannte Stellen, die nach der EU-Richtline MDD zertifizieren dürfen10. 54 haben einen Antrag auf Benennung unter der MDR gestellt10. Von diesen wurden bisher 25 Benannte Stellen zur Zertifizierung nach der MDR neu benannt, davon sechs in Deutschland 11. Der aktuelle Stand kann in der NANDO-Datenbank abgefragt werden (Stand Dezember 2021).
Es wird befürchtet, dass es zu einem starken Engpass bei Benannten Stellen kommt. Gründe hierfür sind unter anderem deren geringere Anzahl, höhere Anforderungen, Erweiterungen der Zuständigkeit für Produkte, die bisher nicht der Beaufsichtigung durch eine Benannte Stelle unterlagen, sowie die benötigte Neuzertifizierung aller Produkte nach MDR. Durch die Verschiebung des MDR-Geltungsbeginns ist abzuwarten, wie sich der derzeitige Engpass zukünftig auswirken wird.
Die kurzen Übergangsfristen und die späte, noch nicht vollständige Neubenennung der Benannten Stellen sind für alle Akteure eine große Herausforderung. Die Wirtschaftsministerkonferenz forderte die Bundesregierung daher im Juni 2018 auf Initiative von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut und ihrem damaligen bayerischen Kollegen Franz Josef Pschierer auf, bei der Implementierung der europäischen Vorgaben die Umsetzbarkeit durch kleine und mittlere Unternehmen sicherzustellen und Unterstützungsangebote für den Zugang zur klinischen Erprobung zu schaffen. „Indem die europäischen Regulierungen für Medizinprodukte verschärft werden, entsteht besonders für kleine und mittlere Unternehmen der Gesundheitswirtschaft ein erheblicher finanzieller und personeller Mehraufwand. Solche Vorgaben müssen wirtschaftsfreundlich eingeführt werden. Nur so können wir die deutsche Medizintechnikindustrie zukunftsfähig machen“, betonte die Ministerin 12.
Mit dem MDR & IVDR Wegweiser BW bündelt die BIOPRO Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern neben wichtigen Informationen auch Leitfäden und Checklisten sowie Anlaufstellen rund um die neuen EU-Verordnungen.
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